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Feuerkugelschauer über der Mongolei


FEUERKUGELSCHAUER ÜBER DER MONGOLEI
Nach neun Stunden Flugzeit treffen eine astronomische Gruppe von 14 Deutschen in einem der entlegensten Winkel Asiens ein, in Ulan Bator, der Hauptstadt der Mongolei, das fast vergessene Land zwischen Sibirien und der Volksrepublik China. Und gerade hier sollte sich eines der großartigsten astronomischen Schauspiele unseres Jahrhunderts ereignen, so die Prognosen.
Waren es noch herbstliche 6° C in Berlin, so empfing uns eine Kulisse tiefsten Winters in der kältesten Hauptstadt der Welt. Kaum traten wir aus dem Flughafengebäude heraus, waren wir auch schon eingehüllt in -12° C, schneeweißer Landschaft, glasklarer Luft unter reinstem blaurosafarbenem Himmel, - Sekunden vor Sonnenaufgang.
Mit einem Bus ging es weiter über die Betonschotterpiste ins Zentrum Ulan Bators, das auf 15 Meter tiefem Permafrostboden in einem 7 Kilometer weiten flachen Talkessel eingebettet liegt, in einer Höhe von 1370 Metern. Auf terrassenförmigen Plateaus sehen wir weitere Plattenbausiedlungen und mehrere Fernheizwerke, die ihre qualmenden Wolken in den blauen Himmel schicken.
So begann die mongolische Expedition, in deren zweiten Woche das lang erwartete Ereignis vorhergesagt ist: Sternschnuppen in solcher Intensität, daß von einem Meteorsturm des Leonidenstromes zu sprechen wäre. Der Leonidenstrom ist benannt nach dem Sternzeichen Löwe, der Himmelspunkt, aus dem die Sternschnuppen, genannt Leoniden, jeden November sichtbar werden. In Wirklichkeit sind das Staubkörnchen und Materiebrocken aus dem Schweif des Kometen Temple-Tuttle. Alle 55 Jahre hinterläßt der erneute Durchgang des Kometen um die Sonne eine neue frische Partikelspur, die sich als sichtbarer Schauer entladen kann. Betreiber von über 500 Satelliten sehen solchem Ereignis besorgt entgegen, da die empfindlichen Satelliten wie einem Sandstrahlgebläse den Leoniden ausgesetzt wären und diese außer Gefecht setzen könnten. Astronomische Berechnungen ergaben nun, daß sich Zentralasien als beste geographische Lage zur Beobachtung des kosmischen Feuerwerks eignen würde.
Neben unserer deutschen Gruppe trafen mittlerweile auch kanadische Astrophysiker, Amerikaner der U.S. Air Force und Astronomen aus der Slowakei ein.
Im Gegensatz zu den amerikanischen Militärs, die eine rein auf die Satelliten bezogene computerisierte Beobachtung durchzuführen hatten, lag unserem Unternehmen die gemeinsame Beobachtung inmitten der Natur unter dem nächtlichen Sternenhimme! zugrunde, allen Widrigkeiten zum Trotz, die unserer vielleicht harren könnten.
So gehörte dazu auch die Einstimmung auf das so ungewöhnliche Land mit ungewohnten Gesichtern und fremdartigen Sitten. Wir verbrachten zuerst eine Woche im tiefen Landesinnern unter den Nomaden in Jurten, das sind runde, zeltartige Behausungen, unternahmen abenteuerliche Ausflugsfahrten im Jeep querfeldein, um weitenttegene Klosteranlagen, Gebirgszüge, Sanddünen und traumhafte Sonnenuntergänge in der mongolischen Steppenwüste zu erleben. So hatten wir in der schneelosen Zentralmongolei mittags teilweise Temperaturen bis 13° über Null.
Aber das sollte sich drastisch ändern als wir dann, mit Zwischenstop Ular Bator, am 16. November das Khurel Tagoot Observatorium auf 1500 Metern Höhe erreichten, welches mit seinem Aussichtsplateau auf felsiger Anhöhe für Beobachtungen wie geschaffen war. Bereits nachmittags zeigte das Thermometer -24°C. So wer es Punkt Mitternacht, der Kopf des Löwen schaute gerade über den Horizont, als sich alle Beobachter aus den einfachen Tages' schlaf quartieren aufmachten, um auf das Plateau zu gelangen. Jeder war wie ein Eskimo so dick eingepackt, sagten doch öle Meterologen für diese Nacht nicht nur traumhaftesten Sternenhimmel voraus, sondern auch die kälteste Nacht seit Jahrzehnten im November.
Dagegen konnten wir uns nur mit extremen Kältestiefeln, Fünf -Schichtbekleidung, Taschenöfchen und innerer Vorfreude wappnen. Einzukalkulieren waren zusätzliche -1°C, da sich das Kälteempfinden bei stundenlanger Bewegungslosigkeit erheblich erhöht-
Es ist tiefste Nacht geworden, die Sternenbilder prangen in erhabener Schönheit und unbeschreiblicher Reinheit am Firmament, das Band der Milchstraße beleuchtet die Landschaft,
Keine einzige Wolke, die die vollkommene Klarheit der Sterne trüban könnte, die so zusammengedrängt scheinen, so daß es aussieht, als ob mehr leuchtenüe Punkte am dunklen Himmel stehen, als der Himmelshintergrund selbst ausmachte, Jeder Stern scheint in dieser reinen Atmosphäre frei zu sein von je-der Art Schteier, so daß er zehnfach brillanter leuchtet, glitzert und blinkt, als wäre der Himmel nur dafür geschaffen worden, sein eigenes Wunder anzuzeigen. Sie sehen so nahe aus, und ihr Licht scheint intensiver als je zuvor, so daß die Phantasie einem vortäuschen könnte, man könne durch Ausstrecken der Hände die Sterne seiner Liebsten vom Himmel holen.
Alle Beobachter haben bereits ihre Plätze aufgesucht, gebettet auf eine Isolierungsmatte, freigegraben aus 25 cm tiefer Schneedecke. Herz und Sinne sind geschärft und sensibilisiert auf alles, was kommen mag .......... .
Noch ein Blick zum Thermometer, mittlerweile -33.0° C.
Jede Regung der verschneiten Natur ist eingefroren, es herrscht atemlose Stille.
Und dann kommen sie, die Lichtfunken des Himmels, die Sendboten des interplanetaren Kosmos.
Lautlos tauchen sie in das Himmelsgewölbe, huschen über das Sternenfirmament ....... Sternschnuppenl
In märchenhafter Schönheit beginnen die schnellen wundersamen Funken ihr Licht zu versprühen, leuchten auf an allen Ecken des Himmelsdoms, zu mehreren auf einmal, dann wieder nach minütiger Pause, die schier endlos erscheint für die sehnsüchtigen Sinne. Atemlos hängt der Blick und offene Mund am mondlosen Himmel und wird gewahr der so vielfältigen Art der Sternschnuppen. So leuchten die Meteore am Mittelpunkt des hochstehenden Radianten, der sternförmigen Austrittstelle aller Meteore - , mit nur kurzer Bahn auf, mit zu-nehmender Entfernung vom Radianten jedoch lang und länger werdend, manchmal über den halben Himmel blitzend, um in Horizontnähe zu verlöschen. Wie einst Goethe es niederschrieb: "im Dunkel glühen blühend alle Zweige, nieder spielet Stern auf Stern, und, smaragden, durchs Gesträuch tausendfältiger Karfunkel."
Und plötzlich stellt sich ein Ereignis ein, das niemand vermutet und jeden auf das Äußerste überrascht:
Feuerkugeln! Meteore in solch einer Helligkeit, daß Gegenstände und Baume sogar Schatten auf den Erdboden werfen, und dies in einer Anhäufung, wie es in den letzten 50 Jahren weltweit nie registriert wurde. Gleich einer kleinen Sternschnuppe, aus dem Nichts auftauchend, dann aber plötzlich zu einem Feuerball anwachsend, der strahlend in gelblich oder grünlicher Färbung sein Dasein kündet, um Sekunden später mit einem letzten Endblitz wieder ins Nichts abzutauchen. Manchmal auch mit langem Gruß, einem Nachleuchten der ionisierten Bahn, die minutenlang als Rauchspur am Himmel hängt, um sich von den Winden der Hochatmosphäre zu bizarren Spiralen, Dreiecken oder herzförmigen Fahnen zu verwinden.
Andächtige Stille liegt über den eisigen Hügeln der Mongolei, wieder und wie-der blinkt der Himmel auf, teilen sich einzelne Sternschnuppen in mehrere Teile, wieviele Zeugen mögen wohl gleichzeitig diesen Augenblick wahrnehmen, dabei hörbar jubilieren, oder auch nur in stiller, innerer Freude dieses Naturgeschenk erblicken. Für den einen der astronomische Kometenwink, für den Besinnlichen ein Gruß Gottvaters. Jeder auf seine Weise, und doch alle mit ähnlicher Freude. Freude, der mit einem Male auch noch die Krone aufgesetzt werden sollte:
Es ist drei Uhr morgens und 58 Minuten, als plötzlich wie mit lautlosestem Donnerschlag eine gigantische Feuerkugel das Himmelsgewölbe durchbricht, mit -15 mag größer und 11-fach heller als das Rund des Vollmondes. In grellfarbiger Spur reißt das ca. 25 cm große interplanetarische Geschoß den Himmel auf, beginnend grünlich, über gelb, übergehend in rot die Spitze stahlblau einfärbend. Die Lichtung, deren schneebedeckte Bäume halbkreisför-mig uns umrundet, erstrahlt in gleißender Helle. Geblendet vergessen wir zu atmen. Beinahe endlos lang steht die Farbspur am Himmel, geschrieben mit buntem Stift, gestochen scharf, aber mit zittriger Hand. Kaum, daß es die überwältigten Sinne begreifen, löscht eine unsichtbare Hand in umgekehrter Reihenfolge Jede Farbpartie einzeln ab, bis der samtschwarze Sternenvorhang sich wieder schließt, als wäre nie etwas geschehen. Aber in allen, die dieses sahen, wird sich das Gewesene unauslöschbar eingegraben haben.
Feuerkugel auf Feuerkugel folgt und natürlich Sternschnuppen kleiner und kleinster Größe, derart verstreut, daß leider jeder nur eines Teiles sichtbar wird. Man weiß nur aufgrund des grellen Aufleuchtens, daß einem im Rücken gerade etwas entgangen ist. Oder man sieht die Spur eines Meteors, der unter den Horizont schießt, mit einem Endblitz aufleuchtet und dabei gleichzeitig über den Horizont wieder hinaufstrahlt.
Doch dann, zwischen der vierten und fünften Morgenstunde überzieht aus un-erkanntem Grund eine feine Dunstschicht den kompletten Himmel. Nebliges Aufleuchten durch die Wolken verrät, welch prachtvollen Geschosse wir nicht mehr sehen. Auch die Temperatur steigt mittlerweile auf -25° C, beginnt aber wieder zu sinken, denn, oh Wunder, der Dunstvorhang öffnet sich gänzlich und zeigt wieder das ersehnte Schauspiel. Auch der plötzlich eintretende Polarschnee, - feuchte Luft die unter klarem Sternenhimmel auskristallisiert -,der in unsere mit bereiften Wimpern offenen Augen rieselt, trübt nichts an dem sichtbaren Erleben.
So sieht denn ein jeder bis in die frühesten Morgenstunden viele Hundert bis nahe eintausend Sternschnuppen.
Die Nacht endet erst, als sich mit dem Zodiakallicht, einer kosmischen Lichterscheinung und der aufsteigenden Sonne die Nacht verabschiedet und die von unserem Plateau sichtbaren, vielen, kleinen Lichter Ulan Bators langsam verlöschen
Es war eine denkwürdige Nacht, die umso unerklärlicher wird, da entgegen aller wissenschaftlicher Berechnungen der Meteorpeak nicht in den Morgenstunden des 18. November sondern eine Nacht zuvor eintrat. Allerdings nicht mit der prognostizierten Tausenderrate vieler kleiner Sternschnuppen, sondern in geringerer Rate mit einem überraschenden Feuerkugelschauer.
Noch bleibt aufgrund der überraschenden Daten einiges zu überdenken. Es darf aber gesagt werden, daß eine mögliche Wiederholung des Ereignisses für den November 1999 ansteht, da die Erde auf dem Weg durch die Tiefen des Alls die Bahn des Kometen Tempel- Tuttle nochmals passiert. So dürfen sich dieses Mal vor allem die Europäer auf ein ähnliches Schauspiel freuen, möglicherweise mit noch gesteigerten Raten. Raten, die in der Nacht des 17. oder 16.' Novembers einige Tausend pro Stunde betragen können. Zwar ist am 22. November Vollmond, doch geht der zunehmende Mond so zeitig unter, daß die entscheidende zweite Nachthälfte dunkel sein wird.
Nach dem 18. November 1999 werden sich die Leonidenschauer für die nächsten 150 Jahre von uns verabschieden. Da die Erdnähe zur Kometenbahn derart weit abdriftet, werden wir auf das herrliche Schauspiel verzichten müssen. Freuen wir uns also nochmals auf 1999.

Reinhardt Wurzel



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