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Mit dem Faltboot auf Sibiriens Flüssen

von Karin Haß

Zwei Jahre habe ich an diesen Fluss gedacht, von seinen Wassern, der Landschaft und der Abgeschiedenheit geträumt und versucht, mir eine einigermaßen realistische Vorstellung davon zu machen. Und nun endlich stehe ich an seinem Ufer - ein sehr berührender Augenblick für mich.

Woher die Liebe und Bewunderung für Sibirien in mir stammt, weiß ich nicht. Schon 1998 zog mich dieses Land magisch an, und so paddelte ich zusammen mit vier anderen Frauen 500 km durch die Einsamkeit des mittelsibirischen Berglandes. Bereits damals war mir klar, dass ich zurückkehren wollte nach Sibirien.

Jetzt, im Juli 2003, ist aus dem Vorhaben Wirklichkeit geworden. Meine Begleiter sind dieses Mal vier Männer.

Kurt und Charly wohnen in der Nähe von München. Ich kenne sie seit längerem durch die Faltboottreffen an der Mecklenburger Seenplatte und durch die im Sommer 2001 gemeinsam durchgeführte, von Kurt organisierte Faltboottour auf Eagle, Bell und Porcupine in Kanada bzw. Alaska. Arnold kommt aus Oberösterreich und Harald wohnt am Bodensee. Beide meldeten sich auf Anzeigen in einer Kanuzeitschrift.

Ich finde immer, dass das größte Abenteuer auf solch einer Tour die Teilnehmer sind, denn man weiß nie, wie sich der Einzelne unter den Tourbedingungen verhalten wird - sich selber manchmal eingeschlossen.

Anreise zum Fluss Tungir

Am 19. Juli flogen wir um 14 Uhr von München nach Moskau und von dort gegen Mitternacht weiter nach Irkutsk an der Angara nahe des Baikalsees, wo wir am nächsten Vormittag Ortszeit landeten. Mitarbeiter des von „TSA-Reisen“ in Biberach beauftragten Irkutsker Reisebüros brachten uns und unser umfangreiches Gepäck ins Hotel „Angara“. Zum Schlafen war jedoch keine Zeit, denn wir mussten erst einmal alle Lebensmittel für die nächsten vier Wochen einkaufen und verpacken, da wir gegen 20 Uhr mit der TRANSSIB in Richtung Osten weiter fahren wollten.

Obwohl Sonntag war, konnten wir auf einem Markt alles Erforderliche kaufen. Nach dem Einkauf hatte es den Anschein, das Gepäck hätte sich verdoppelt, und der Gedanke, wie das alles in den beiden reservierten Vierbett-Abteilen unterzubringen sei, machte Andrej aus Irkutsk sichtbare Sorgen. Aber irgendwie geht immer alles, so auch hier.

Über die Fahrt mit der TRANSSIB schreiben manche Leute ganze Bücher. Die Strecke von Moskau nach Wladiwostok ist mit 9300 km die längste Bahnstrecke der Welt. Acht Tage und 4 Stunden ist man darauf unterwegs.

Tatam - tatam - tatam - das Geräusch der Schienenstöße stellt die ständige Begleitmusik dar zur vorüber gleitenden Landschaft aus Wäldern, Wiesen, Flüssen, Steppe und Dörfern.

Nur auf dem Landwege erhält man eine Vorstellung von der unendlichen Weite dieses Landes. Rußland ist das größte Land der Erde, und allein Sibirien ist so groß, dass man darin die Vereinigten Staaten von Amerika einschließlich Alaskas sowie ganz Europa, ausgenommen Russland, unterbringen könnte.

An den Haltestellen gibt es geräucherten Fisch aus dem Baikalsee zu kaufen, vor allem den ausschließlich dort vorkommenden berühmten Omul. Frauen aus der Umgebung bieten sehr leckere, hausgemachte Speisen an. Auch im Speisewagen wurden wir anständig verköstigt und ließen uns das Starkbier Marke „Baltika“ munden.

Jeder Schlafwagen hat eine eigene Begleiterin. Bei ihr kauften wir für wenige Rubel hervorragend schmeckenden schwarzen Tee.

Der einzige Wermutstropfen ist die sparsame sanitäre Ausstattung, denn es gibt in den Toiletten an den Wagonenden nur jeweils ein kleines Waschbecken. Damit das Wasser läuft, muss man den Hahn nach oben gedrückt halten. Wie die tagelang reisenden Russen es schaffen, trotzdem immer sauber und gepflegt zu sein, ist mir irgendwie ein Rätsel.

Wir fuhren „nur“ 1870 km von Irkutsk bis Mogotscha und kamen nach rund 33 Stunden im Morgengrauen pünktlich dort an (da sollte der Herr Mehdorn einmal hinfahren und fragen, wie das geht).

In zwei kleinen Pritschen-wagen legten wir auf einer Schotterstraße noch 100 km zurück bis zur Ortschaft Tupik am Fluss Tungir.

Jetzt hier angekommen, essen wir zum Frühstück ziemlich salzigen, geräucherten Omul. Die beiden Fahrer trinken dazu eine ganze Flasche Wodka aus und brettern danach ohne sehenswerte Beeinträchtigungen zusammen mit Andrej zurück nach Mogotscha.

Start in Tupik

Wir stehen vor dem Gepäckhaufen und beginnen bei brütender Hitze, die Boote aufzubauen und das Gepäck zu verstauen. Von dem salzigen Fisch bekommen wir einen Mordsdurst, und ich muss zweimal ins Dorf gehen, um Wasser zu kaufen. War d a s der Trick - vielleicht hätten wir auch jeder eine halbe Flasche Wodka zum Fisch trinken sollen? Aber uns verweichlichte Westler hätte das sicher mindestens 24 Stunden außer Gefecht gesetzt.

Kinder und Jugendliche umringen uns neugierig, werden immer kecker und nehmen unsere Sachen in die Hand. Haralds freundliche Bemühungen, sie davon abzuhalten, nützen nichts. Als ein Jugendlicher versucht, einen Gegenstand mitzunehmen, ist meine Geduld zu Ende. Ich marschiere zornig mit in die Seiten gestemmten Händen auf sie zu, schreie sie an und scheuche sie auf einen Abstand von 2 Metern zurück.

Beliebt haben wir uns damit nicht gemacht, und wir befürchten, dass sie es uns heimzahlen, wenn wir in erreichbarer Entfernung campieren. Da wir an diesem Tag nicht mehr allzu weit paddeln, stellen wir mit recht unguten Gefühlen vorsichtshalber Nachtwachen auf. In der Nacht bleibt alles ruhig, aber ich bin etwas traurig über die anfängliche, bedrückende Begegnung mit den Menschen hier. Jedoch stellt sich bald heraus, dass diese unangenehme Erfahrung die absolute Ausnahme war.

„So ein Komfort-Campingstuhl mit Armlehnen hat doch was für sich“, denke ich dankbar während der Nachtwache.

Unser Erstaunen war groß, als Harald diesen besagten und in der Folge viel belästerten Stuhl aus seinem Gepäck holte. Kurt überlegte sogar, ob er den nicht aus seinen DIAs heraus retuschieren müsse. Auch Haralds übrige Ausrüstung lässt nichts zu wünschen übrig. Er ruht auf einem hoch aufblasbaren Gästebett wie die Prinzessin auf der Erbse und fast jeder seiner Gegenstände sieht absolut neu und high-tech-verdächtig aus.

Erste Probleme

Auf dem Tungir ist die Strömung mäßig, so dass wir zwischen fünf bis sechs Stunden paddeln müssen, um mit 30 bis 35 Tageskilometern auch einigen Vorlauf für Ruhetage zu schaffen.

Die Probleme beginnen bereits nach dem ersten Paddeltag, denn Arnold eröffnet uns am Abend: „Ich fahre alleine weiter. Ihr seid viel zu schnell. Da habe ich mit meinem Boot doch gar keine Chance“.

Arnold fährt ein Schlauchboot von Gumotex, dessen Grundschnelligkeit sicherlich langsamer als die der Faltboote ist, das aber nach unserer Beobachtung genauso schnell ist, w e n n Arnold paddelt.

„Aber vielleicht erfordert das dann einen höheren Kraftaufwand“, denke ich.

Wir reden ihm gut zu, dass er doch s e i n Tempo paddeln solle - wir würden uns nach ihm richten, das sei kein Problem. Aber nein, er will alleine weiter paddeln. Darauf können wir uns natürlich nicht einlassen. Schließlich schlage ich vor, dass ich am nächsten Tag mit ihm das Boot tausche, und dass wir täglich reihum sein Boot paddeln würden, falls es damit wirklich anstrengender ist, vorwärts zu kommen.

Ich paddle am darauf folgenden Tag etwas langsam, jedoch ohne Anstrengung gut dreißig Kilometer in fünfeinhalb Stunden. Das sollte Arnold ebenfalls schaffen können, da er zudem noch über fünfzehn Jahre jünger ist als ich.

So sitzt an den Folgetagen jeder wieder in seinem eigenen Boot. Mein breiter, russischer Zweier-Dampfer ist nicht schnittig, aber wendig und kann viel Gemeinschaftsgepäck wie z.B. die Küchenausrüstung und mehr Lebensmittel transportieren als die anderen Boote, obwohl er nicht länger ist als diese. Kurt fährt in seinem Klepper Aerius I, Harald im Nautiraid Raid I und Charly in von einem Herrn Tapper gebauten, sehr schnellen Boot. Ihn sehen wir meistens in größerer Entfernung nur von hinten.

Das Maral-Camp

Trotz des hohen und weiter steigenden Wasserstandes finden wir meistens ausgesprochen schöne Zeltmöglichkeiten auf kiesigen Ufern oder größeren Inseln mit genügend Tot- oder Treibholz für das Feuer. Einen Kocher haben wir nicht mitgenommen.

Das Wasser ist sehr klar, leicht torfig gefärbt und kalt - kein Wunder, denn hier ist Permafrostboden, der im Sommer an der Oberfläche ein, eineinhalb Meter auftaut.

Als wir am Abend des zweiten Paddeltages am Lagerfeuer sitzend das Abendessen kochen, nähert sich eines der langen, schmalen Holzboote mit Außenborder, und wir erhalten Besuch

von drei einheimischen Jägern. Neugierig fragen wir nach ihrer Jagdbeute. Bereitwillig zeigen sie uns den Kopf eines erlegten Marals, einer Hirschart, die nur in Sibirien grenznah zu China und der Mongolei vorkommt, und schenken uns sogleich ein großes Stück Maralfleisch, das als besondere Delikatesse unser Abendessen bereichert. Zum Glück können wir uns mit zwei Messern ein wenig revanchieren.

Wir bleiben einen Tag in dem Camp, um das Schlafdefizit der vergangenen Tage etwas auszugleichen und vor allem die Lebensmittel bootsgerechter zu verpacken.

Harald nutzt die erste gute Gelegenheit, um bisher verborgenen pyromanischen Trieben nachzugeben und eines seiner beliebten Großfeuer zu entfachen, die Haralds Ansicht nach bis zum Morgen brennen müssen.

Stromschnellen- und Wetterexperten

Auf der nächsten Tagesetappe sind laut der russischen Karte im Maßstab 1:200000 zwei Stromschnellen zu erwarten. Überhaupt sollen auf der Gesamtstrecke bis Ust-Njuksha nach Angabe einer russischen Bekannten insgesamt etwa sechzig Untiefen und Stromschnellen bis WW 3 vorhanden sein. Mich wundert diese Aussage sehr, weil ich das absolut nicht aus der sehr guten Karte herauslese. Trotzdem wollen wir Vorsicht walten lassen.

Kurz vor den angegebenen Stromschnellen schlagen wir unser Lager auf. Es ist bereits Nachmittag und Regen hat eingesetzt. Deshalb möchten wir die Schnellen lieber am kommenden Tag bei besserem Wetter und mit frischen Kräften befahren bzw. bei Bedarf umtragen.

Nachdem wir alles Gepäck im Boot festgezurrt haben, paddeln wir am nächsten Tag los, sehen aber leider so richtig keine Stromschnellen. Wahrscheinlich will Kurt das nicht wahr haben und kentert trotzdem. Harald meint hinterher, er hätte kurz gezögert, ob er Kurt helfen oder die Szene lieber fotografieren soll, und natürlich hätte er sich fürs Fotografieren entschieden.

Während der gesamten Tour sind weit und breit keine Schnellen oder Untiefen in der Hauptströmung anzutreffen. Ein Grund dafür könnte der durch die häufigen Regenfälle verursachte hohe Wasserstand sein.

Das Wetter ist in dieser Jahreszeit ziemlich wechselhaft und kaum vorhersehbar. Das stört unsere beiden Wetterexperten allerdings gar nicht.

Arnold ist der Experte für schlechtes Wetter. Beim ersten und bei jedem der nachfolgenden Regengüsse prophezeit er, dass es die nächsten Wochen bis zum Ende der Tour weiterregnen wird.

Charly hingegen rechnet nur mit gutem Wetter. Selbst wenn sich der Himmel unübersehbar kohlschwarz bezieht, vertritt er die feste Überzeugung, dass gleich wieder die Sonne scheinen wird. Und darum zieht er auch keine Regenjacke an. Erst, wenn er nach einer halben Stunde völlig durchnässt ist, hält er den Regen nicht mehr für eine Sinnestäuschung.

In Wirklichkeit ist es tagsüber in der Regel trocken, selbst wenn dicke Wolkenbänke am Himmel hängen. Dafür regnet es vorwiegend morgens und am frühen Abend jeweils eine halbe bis maximal anderthalb Stunden. Meistens hat der Regen aufgehört, wenn wir das Frühstück beendet haben und noch nicht angefangen, wenn wir am Nachmittag die Zelte aufschlagen. An manchen Tagen aber knallt die Sonne den ganzen Tag vom Himmel und die Temperatur steigt auf über 30 Grad Celsius.

Sibirische Gastfreundschaft

Unterwegs passieren wir zwei Ortschaften.

Das kleine Dorf Gulja liegt rund 140 Kilometer unterhalb von Tupik und bietet von seinem hohen Ufer am Tungir einen schönen Blick auf den Fluss und die Taiga.

Das andere Dorf, Srednaja Oljokma, befindet sich an der Oljokma, kurz nach der Einmündung des Tungir in diese. Hier hoffe ich, die Akkus für den Camcorder aufladen zu können, denn ich kann sie nicht wie geplant mittels der Solaranlage laden, weil ich dummerweise ein bestimmtes Kabel zu Hause vergaß.

Ich frage einen Mann, ob ich meine Akkus beim ihm aufladen darf und ob wir im Dorf einige Lebensmittel kaufen können.

Danach erleben wir Fremden in diesem abgeschiedenen sibirischen Dorf eine unglaubliche Gastfreundschaft und Großzügigkeit, die mich fast zu Tränen rührt und auch irgendwie beschämt. Wir werden von dem Ehepaar sofort zum Mittagessen eingeladen, und als ich frage, ob wir ihnen denn jetzt nicht das eigene Mittagessen wegessen, winken sie nur ab und fordern uns auf zuzulangen.

In den beiden Läden, die heute am Sonntag extra für uns geöffnet werden, gibt es sehr wenig Auswahl, denn die Waren müssen per Boot über eine Entfernung von 270 Kilometern aus Tupik herangeschafft werden. Trotzdem verlassen wir den Ort schwer bepackt, denn von allen Seiten kommen Leute und beschenken uns mit Brot, Fleisch, Fisch, großen Gläsern Waldbeeren und Gemüse. Es ist einfach überwältigend.

Wir sind froh, unsererseits Gastgeschenke geben zu können und versprechen, ihnen die Fotos zu schicken, die Kurt auf ihren Wunsch von ihnen gemacht hat.

Paddeltage

Wir haben uns darauf geeinigt, an einem Paddeltag maximal dreimal zwei Stunden zu paddeln. Nach jeweils zwei Stunden machen wir eine Pause, bei der ausgiebig gegessen wird. Eine Stunde nach der zweiten Pause beginnen wir mit der Lagerplatzsuche, damit wir möglichst nicht länger als sechs Stunden paddeln müssen.

Kurt und ich finden diesen Zeitplan manchmal ziemlich lästig, aber wenn sich die Pause situationsbedingt einmal verzögert oder nicht rechtzeitig ein guter Lagerplatz in Sicht kommt, ist mit einigen Teilnehmern gar nicht mehr gut Kirschen essen. Eines Abends landet Charly an einem zum Zelten äußerst schlecht geeigneten Platz und will absolut nicht weiter fahren, weil die vereinbarten sechs Stunden schon überschritten sind.

Arnold kommt immer wieder darauf zurück, dass er alleine paddeln wolle, weil wir anderen zu schnell und zu viel paddeln würden. Mit der Zeit verstärkt sich mein Verdacht, dass zwischen uns bereits seit Beginn der Planung ein großes Missverständnis herrscht. Ich hatte gesagt, dass wir im Durchschnitt täglich etwa dreiundzwanzig Kilometer paddeln müssen und damit auch „paddeln“ gemeint. Arnold hatte verstanden, dass wir täglich dreiundzwanzig Kilometer zurücklegen müssen und damit offensichtlich „sich treiben lassen“ gemeint, wie er

das am Yukon und Teslin-River praktiziert und dabei nach seiner Aussage sechzig, achtzig und bis 100 Kilometer am Tag zurückgelegt hatte. Statt hier aber einmal zwei Stunden durchzupaddeln, macht er immer wieder Pausen, während wir ständig auf ihn warten müssen. Glücklicherweise bessert sich die Lage auf der Oljokma, welche eine zunehmend starke Strömung mit mindestens zehn Stundenkilometern aufweist, und endlich ist die Welt für Arnold wieder in Ordnung.

Unbefriedigend finde ich, dass die Arbeit im Camp häufig einseitig verteilt ist, weil durchaus nicht jeder zupackt, wenn es etwas zu tun gibt. Kurt kocht sehr häufig das Essen und ruht nicht eher, bis alle Gemeinschaftsarbeiten getan sind, während andere sich mit ihrem Privatkram beschäftigen oder während des ganzen Tages nur eine kleine Aufgabe übernehmen. Als ich nach längerer Zeit das Problem anspreche und vorschlage, die Tätigkeiten einzuteilen, meint Charly: „Wieso, es klappt doch alles“. Na, warum wohl?

Filmkulissen- und andere Camps

Die Landschaft an der Oljokma wird zunehmend einsamer und gebirgiger. Ich möchte nichts weiter, als nur noch so dahin gleiten, diese wunderbar weiche, reine Luft atmen und die Schönheit der Natur in mich aufnehmen.

Bei großartigem Wetter landen wir an einem herrlichen Sandstrand mit Blick auf das gegenüberliegende sehr hohe, malerische, felsige Steilufer - die reinste Filmkulisse. Keine Frage, hier legen wir einen Ruhetag ein.

Ausgiebig genießen wir die wundervolle Landschaft, baden in dem kalten, stark strömendem Wasser, sonnen uns, waschen Wäsche.

Kurt und ich machen Inventur und stellen fest, dass wir viel zu sparsam mit dem Essen umgegangen sind. Besonders Kurt war immer überaus haushälterisch, ganz im Gegensatz zu seinem Verhalten in der Zivilisation. Aber ab sofort darf Harald sich jeden Tag richtig satt essen! Und nunmehr ist es - rein materialmäßig gesehen - auch fast egal, wenn mir der Topf mit der soeben gekochten, leckeren italienischen Tomatensoße aus der Hand fällt und der Inhalt im Kies versickert, indessen Charly zwar ungeplant, jedoch folgerichtig, beim Abgießen die Spagetthi der Tomatensoße hinterher schickt.

Jedes der nachfolgenden Camps hat seinen eigenen Reiz und Charakter.

Das wild anmutende Ufer des Rustikal-Camps ist geprägt von großen Gesteinsbrocken, aber vor dem Waldrand gibt es einen schmalen, kiesigen Streifen, auf dem unsere Zelt Platz finden. Das Wasser hat eine rasante Strömung, die ich auf 15 bis 18 Stundenkilometer schätze und in der Harald und ich mit viel Vergnügen herum paddeln.

Das Traum-Camp legen wir an auf einer ausgedehnten Insel mit feinem Kiesstrand, die einen fantastischen Rundblick auf die umgebende, hügelreiche und mit dichter Taiga bewachsene Landschaft gewährt.
Überall auf der Insel liegen große, bizarr anmutende angeschwemmte Baumleichen, teilweise übereinander getürmt. Dazwischen ruht das Auge auf weichen Sandhügeln und sich sanft wiegenden Weidenbüschen. Da wir zwei Tage hier bleiben, lohnt sich der Bau eines großen Tipis aus drei Stämmen, um die Harald und Arnold Baumarktplane wickeln, um den Bannock-Teig vor den Regengüssen zu schützen. Vorher kochte das Wetter ständig mit und der Teig wurde immer dünner.
Im Tataren-Camp erhalten wir Besuch von drei Jägern, von denen einer sagt, er sei tatarischer Abstammung. Zu meiner Überraschung schenkt er mir zum Abschied ein schönes Rentierfell. Ich borge es Charly, dessen Luftmatratze kaputt ist, als Schlafunterlage. Feucht geworden wirkt das Fell zwar nach wie vor gut isolierend, stinkt aber erbärmlich, was sich erst nach dem Trocknen bessert.

Kurt versieht die Sohlen seiner Sandalen mit einem Belag aus silbrigem Tape und krönt damit seine tägliche Näharbeit. Er hat nämlich vor der Reise ganz tolle, preiswerte Fast-Teva-Sandalen gekauft und muss jeden Tag mit Angelsehne die Sohlen nähen, damit sie nicht auseinander fallen.

Kurts Silbersandalen werden aber noch getopt von Charlys giftgrünen Gummiglogs, in die Charly vorne Löcher geschnitten hat, damit die Luft dort heraus strömen kann, wenn er ins Wasser watet.
Der „Tatar“ kann im Vergleich der Fußbekleidungen durchaus mithalten, denn er trägt zu unserer Verwunderung Hauspuschen aus kuschlichem, kariertem Stoff.

Vor der Landung im Schöne-Steine-Camp bummle ich im Boot langsam vor mich hin und kann mich nicht satt sehen an der Landschaft. Unter mir der schnell strömende Fluss, zu beiden Seiten herrlicher, gebirgiger Taigawald und vor mir schönster Sonnenschein - was will man mehr?
Doch von hinten naht schon wieder der Nachmittagsregen, und zwar ziemlich schnell. Als ich die anderen einhole, haben sie bereits einen Lagerplatz und eine Hütte gefunden, in der wir Gewitter und Regen absitzen können, bevor wir die Zelte aufbauen.
Mit viel Wärme und Sonnenschein verwöhnt uns jedoch erneut der folgende Ruhetag, an dem wir Zeit haben, den sehenswerten Uferstreifen unterhalb der Hütte zu erforschen.
Tiefe Schleifspuren führen zu großen Gesteinsbrocken, und ich frage mich, welche enorme Kraft die Steine durch den Kies bis zu dieser Stelle befördert hat. Die Strömung hat zahlreiche Buhnen ins Ufer gegraben. Überall liegen fantastisch gemusterte Steine mit unterschiedlichsten, farbigen Einschlüssen, einer schöner als der andere. Gegenüber mündet zwischen zwei mit dichtem Taigawald bewachsenen Bergen ein glasklarer, eiskalter Bach in die Oljokma.

Die lange Insel, auf der wir am 16. August das Sparta(nisch)-Camp aufschlagen, zeichnet sich aus durch Kies, Kies und Kies. Das erste Mal auf der Tour ist es mühsam, genügend Feuerholz zu sammeln und einen Blickschutz für die privaten Geschäfte zu finden.

Der Blick auf den in der Ferne zu sehenden Ort Ust-Njuksha macht mich nicht froh, denn morgen endet dort unsere Faltboottour nach 530 Flusskilometern.

Wie gerne würde ich weiter fahren auf diesem herrlichen Fluss, der Stille lauschen, die reine Luft der Taiga atmen und die Schönheit der Natur auf mich wirken lassen.

Wehmütig nehme ich an diesem Abend Abschied - und doch auch wieder nicht, denn wie vor fünf Jahren beherrscht mich der Gedanke ans Wiederkommen - das nächste Mal vielleicht allein.

Aber noch ist die Reise nicht zu Ende. Auf uns warten weitere interessante Erlebnisse wie die zweiundzwanzig stündige Fahrt mit der BAM (Baikal-Amur-Magistrale) durch eine sehenswerte Gebirgswelt, die 700 Kilometer lange Schiffstour vom Nord- zum Südende des Baikalsees und die Angara hinab nach Irkutsk und schließlich die Stadt Irkutsk selbst, bevor wir endgültig die Heimreise antreten müssen.



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