Rund um die Reise Reiseberichte Transsib





Transsibirische Eisenbahn 2009


Der Nachtzug von Shanghai nach Peking hat uns auf die Zuggeräusche vorbereitet, die uns nun viele Tage und Nächte begleiten werden.

Uns? Vater (59) und Sohn (30) in der "Transsib" in Erwartung nachhaltiger Eindrücke, Begegnungen mit fremden Menschen und Kulturen und einer richtig langen Reise!

Die Eindrücke der quirligen chinesischen Hauptstadt wirken noch im Verlassen des Bahnhofs nach. Doch schon bald lassen wir die nicht enden wollenden Vorstädte und Industriegebiete hinter uns und gleiten ins ländliche China.

Es wirkt Anfang/Mitte April spröde und karg. Waren diese Ansammlung von Erdhaufen am Ende ein Friedhof?
Die Dörfer zeugen von sehr bescheidenen Lebensverhältnissen. Sie kündigen sich schon rechtzeitig durch die zunehmenden Müllberge an. Es gibt ein riesiges Entsorgungsproblem auf dem Lande.

Die Landschaft ist über weite Strecken großartig: wir überqueren Schluchten und Canyons , und schroffe Gebirge begleiten uns eine Zeitlang. Doch die weiten Steppen Nordostchinas und der Mongolei rücken näher.

Die Buchung eines Vierbettabteils für uns zwei war trotz der Mehrkosten richtig! Wenn alles Gepäck richtig gestaut ist, hat man sogar etwas Freiraum für sich, immerhin, wir fahren mit dem Regelzug.
Der mongolische Zug ist mit dem Notwendigen, auf dieser Strecke Üblichen ausgestattet. Der Samowar sorgt für heißes Wasser, und das altertümliche WC wird regelmäßig gereinigt. Überhaupt sind die Zugbegleiterinnen in ihren adretten Uniformen stets um Sauberkeit bemüht. Natürlich sprechen sie nur in ihrer Landessprache.
Zur Erklärung irgendwelcher Sachverhalte gibt es knappe Hand- bzw. Kopfbewegungen.

Ein Lächeln ins Gesicht der Uniformierten zu zaubern, erfordert schon Ausdauer und Geschick! Mitternacht: die Grenze zur Mongolei: Spurwechsel.,Passkontrolle.,Zollkontrolle. Wir sind müde! Es ist heiß im Abteil. Die Tür muss nun offen stehen.
Uniformierte mit "Permafrost" im Gesicht verlangen die Pässe, Zollbeamte erwarten eine Zollerklärung, durchsuchen das Gepäck, die Pässe sind kassiert, die Zeit wird lang, wir sind in einem fremden Land.
Es wird rangiert, der Spurwechsel vorbereitet, die rangierende Lok agiert unsanft, dauernd heftige Stöße, Schlafen kann man dabei nicht. Pässe sind immer noch weg, doch der Spurwechsel mittels der Hebebühnen wird langsam spannend!
Die Pässe sind wieder da, die "Permafrost"-Gesichter wirken ein wenig entspannter, Anflug eines Lächelns bei den Uniformierten, beinahe unmerklich ruckt der Zug an, nimmt Fahrt auf und gleitet in die Morgendämmerung.

Ulan Bator: der Empfang auf dem überfüllten Bahnsteig klappt! Wir erkennen unsere Namen auf dem Pappschild in der Hand eines sehr freundlichen Taxifahrers, der uns flugs zur Gastfamilie befördert:

Ulan Bator ist eine Baustelle, wir wünschen den Menschen allerdings, es wäre noch viel mehr in Umbau, Ausbau und Neubau begriffen. Unsere Gastgeber sind sehr zurückhaltend, aber sehr freundlich, die Tochter spricht perfekt deutsch. Unsere Bleibe liegt ruhig und zeigt bescheidenen, aber gemütlichen Wohnkomfort!

Früh morgens stehen unsere mongolische Reisebegleiterin Orgi und der Fahrer Bataar vor der Tür. Sie sprechen beide Deutsch, unsere guide sogar mit bayrischem Akzent!
Unser Geländewagen ist wohl für härteste Einsätze gebaut, und so erleben wir auch über einige hundert km recht abenteuerliche Straßen und Pisten.
Unser Team führt uns sehr aufmerksam, sehr engagiert und professionell durch die Landschaft und gleichzeitig durch die Geschichte des Landes.

Ulan Bator liegt hinter uns und wir erleben ein Land ohne Zäune, überhaupt ohne jegliche Beschränkungen der Weite.
Unterwegs lassen wir kopfstarke Viehherden die Straßen passieren, die oft von reitenden Hirten begleitet werden. Man hat Zeit!

Irgendwann erreichen wir unser Camp. Die Saison hat noch gar nicht begonnen, und so richten wir uns in unserer Jurte am prasselnden Ofenfeuer ein. Alles ist sehr einfach. Unsere Wirtsleute sind zurück haltend. Sie tauen erst auf, nachdem wir über den Viehbestand sprechen können (Autor hat jahrelang Robustrinder gehalten!) Das Essen ist lecker, und der Tee tut gut!
Die Stille im Camp macht atemlos, und der Nachthimmel besteht wohl nur aus Sternen! Das weite Land präsentiert sich im Wechsel mal unter wärmender Sonne, dann wieder in eisiger Kälte und dichtem Schneegestöber.

Wir besuchen ein verschneites Kloster, sehen eine Yakherde mit Schneehauben auf den Rücken. Wir schauen den über uns kreisenden Geiern nach, freuen uns über erste Frühlingsboten, und ich begegne am frühen Morgen unerwartet einem Reiter, der seine Herde sucht und mit Begeisterung sehr lange durch meinen Feldstecher schaut!

Man möchte eigentlich bleiben, aber unser Zug bringt uns nach Sibirien: Grenzkontrollen sind hier wie sie eben sind, wir reisen schließlich in fremdartigen Ländern und freuen uns auf Taiga, Holzhäuser und den Baikal!

Der Zug schlängelt sich durch immer dichter werdende Wälder, die teilweise noch tief verschneit sind. Irgendwann blinkt der zugefrorene verschneite Baikal durch die Bäume.
Wir drücken am Zugfenster die Nasen platt: immer wieder die gleißende Fläche des Sees.
Eisfischer vor ihrem Eisloch, einladend wirkende Holzhäuser in malerischer Umgebung des Seeufers, am Horizont die verschneiten Gebirgsketten.

Unser nächstes Ziel ist Irkutsk, das Paris des Nordens. Unsere freundliche Führerin Olga für die gemeinsame kommende Woche spricht ein gutes Deutsch, dafür benimmt sich der Taxifahrer umso abweisender und unfreundlicher, wie es für uns Mitteleuropäer nur schwer vorstellbar ist!

Unser Domizil ist sehr bescheiden. Man darf sich aber auf Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft einstellen! Unsere Gastgeberin Elena arbeitet ist Englischlehrerin und um unser Wohl rührend bemüht!
Irkutsk im Vorfrühling erinnert nur wenig an Paris, dennoch verleihen ihm die wunderschönen alten Kaufmannshäuser, teilweise aus Holz mit aufwendigen Schnitzereien versehen einen unwiderstehlichen Charme: Dr. Schiwago lässt grüßen!
Auf die Gastronomie muss man sich schon einlassen können, aber es gibt jede Menge interessanter Überraschungen.
Irkutsk wirkt als Studentenstadt sehr jung und auf russische Art modern. Man gibt sich auf den Straßen sehr locker und betont feminin. Trotz eisigen Ostwindes ist der Minirock sehr angesagt!

Wir wollen natürlich den Baikal erleben und besuchen unser nächstes Ziel Listwjanka, ein schon recht touristisch ausgerichtetes ehemaliges Fischerdorf.

Nun gibt es vom Bummelzug entlang der Angara und später entlang des Seeufers die langersehnten Holzhäuser zu sehen, die in mit ihren ornamentalen Schnitzereien begeistern. Hinter jedem Lattenzaun warnt ein wolfsähnlicher furchterregender Hund vermeintliche Eindringlinge.
Das zwischen den Waldhängen widerhallende Hundegebell gehört wohl zu den typisch russischen Dorfgeräuschen.

Listwjanka ist eine Mischung aus Vergangenheit und Zukunft, aus Verfall, zaghaftem Neubeginn und der Darstellung neuen Reichtums.
Zwischen rostenden Dampfern einer ehemals stolzen Baikaldampferflotte, gähnenden Löchern in Uferpromenaden und Jahrhunderte alten Holzhäusern protzen Luxusvillen in üppiger Holzbauweise und locken recht gut sortierte "Tante Emma-Läden" und Fastfood-Gastonomie ihr Publikum.

Die Taiga grenzt unmittelbar an die letzten Häuser. Es gibt einen Wintereinbruch. Es schneit eine ganze Nacht. Gleich am Morgen stapfen wir unsere Spuren in den frisch gefallenen Schnee, horchen in die Stille des Waldes und picknicken irgendwo unter einer riesigen Kiefer!
Wir erleben einen Gottesdienst in der Dorfkirche. Das Erlebnis der Frömmigkeit von jung und alt berührt uns!

Das limnologische Museum am Baikalsee ist sehenswert, und die Führung auf einem Waldlehrpfad sehr informativ. Das kulturhistorische Museum liegt an der Angara und einsam im Wald und versetzt uns in die Zeit vor hundert Jahren..

Über Irkutsk reisen wir weiter in die Tiefe der sibirischen Wälder. Ab und zu überqueren wir zugefrorene Flüsse. Schnee liegt noch überall. Die unzähligen Dörfer mit ihren traditionellen Holzhäusern schicken ihre dünnen Rauchfahnen gen Himmel. Häufig entdecken wir neu errichtete Holzkirchen mit ihren hübschen glänzenden Zwiebeltürmen.
Jeder mögliche Halt wird genutzt, um Proviant für die langen Stunden im Zug zu ergattern, aber nicht immer gibt es genügend Zeit und Möglichkeiten dazu, und das Essen in den Restaurantwaggons ist sehr gewöhnungsbedürftig und nicht eben günstig. Da begeistern uns eher geräucherter Fisch und selbst gemachte Wurst von den Babuschkas auf den Bahnsteigen!

So rackelt uns der Zug durch die weite westsibirischen Tiefebene.
Wir staunen über die Treibeisbarrieren auf dem Jenissej und erleben den Ob im Abendlicht und erreichen irgendwann Ekaterinburg. Unser blitzsauberes Appartement ist per Taxi schnell erreicht. Unsere Betreuerin heißt Anna und ist eine sehr engagierte, sehr fröhliche Studentin, mit der wir ihre Stadt erleben dürfen.

Die aufstrebende Stadt hinter dem Ural wirkt sehr lebendig und ist offensichtlich sehr westlich orientiert. Wir verbringen Stunden im Internetcafe und in Restaurants und erleben das vorwiegend junge Publikum: man ist "gut drauf" und sehr cool!
Ekaterinburg kommt in den einschlägigen Reiseführern nicht besonders gut weg, zu Unrecht! Die Lebendigkeit und Originaltät der Stadt ist sehr erfrischend!

Die Weiterfahrt in Richtung Moskau steht kurz bevor. Ekaterinburgs Bahnhof ist wunderschön. Es herrscht reger Betrieb. Der Wartesaal wirkt sehr ansprechend und ist beinahe leer, also hinsetzen mit all dem Gepäck!
Nichts da, eine Uniformierter verweist auf eine gestrenge Dame am Kassenstand: wir müssen zahlen.
Wir beobachten andere Reisende, die den "Eintritt" mit Schimpfen, Kopfschütteln und Lachanfällen quittieren.
Nach Ablauf einer Stunde wird plötzlich lautstark mit uns geschimpft und es dauert, bis wir begreifen, dass wir nachlösen müssen. Wir bleiben die einzigen "Gäste".

Der Obelisk zwischen Waldrand und Bahngleis zeigt die Grenze zwischen dem europäischen Russland und Sibirien. Die urigen Wälder aus Fichten, Kiefern, Birken, undAspen, unterbrochen von Sümpfen und Mooren begleiten uns bis Moskau. Der Schnee ist in Sibirien geblieben. Bei langsamerer Fahrt entdecke ich erste Frühlingsboten am Waldrand. Allerdings ist man seit einigen tausend km dabei, die Waldränder entlang der Bahn systematisch abzubrennen. Die schwarzen Waldränder wirken traurig und gespenstisch, überall flackern noch kleine Feuer.

Wir erreichen Moskau! Grandioser Bahnhof, welcher eigentlich? Ein freundlicher, gut englisch sprechender Taxichauffeur holt uns ab: spannende Fahrt durchs Moskauer Verkehrschaos, natürlich nicht zu vergleichen mit dem Verwirrspiel in Shanghai!
Das Hotel Ismailovo ist akzeptabel, das Frühstücksbuffet baut uns auf für neue Taten!

Vera heißt unsere sehr resolute, sehr korpulente, sehr professionelle Führerin, mit der wir alsbald in den Trubel der berühmten Moskauer Metro eintauchen.

Moskau Ende April : die Metropole hat für das Wochenende den Sommer eingeladen. Die Zwiebeltürme glänzen um die Wette. Wir messen 30 Grad im Schatten!
Ganz Moskau ist deshalb auf den Beinen und überschwemmt den Roten Platz, alle Passagen, sämtliche Parks, Cafes, Restaurants und vor allem das Ufer der Moskwa!
Insbesondere die männliche Jugend zeigt sich sehr durstig, man hat auf allen freien Plätzen sehr viel Spaß!

Die Staatsgewalt zeigt sich allerdings auch sehr martialisch und sehr Respekt einflößend - die Bilder einer brutalen Festnahme in der Metro bleiben noch lange in unseren Köpfen und Herzen.

Moskau wirkt großartig und ergreifend, widersprüchlich und schrill zugleich. Alle unsere Sinne werden sehr gefordert!

Früh am Morgen finden wir uns im Zugabteil wieder, welches schon von einer (gottlob) sehr netten Moskauerin okkupiert wurde.
Da haben wir wohl bei der Buchung des Zugabteils nicht aufgepasst; denn wir müssen unser umfangreiches Gepäck im ohnehin überfüllten Zug in einem Dreierabteil verstauen, selbst noch Platz zum Sitzen und zum Essen (und zum Schlafen übereinander) finden und versuchen, die nette Moskauerin dabei nicht zu belästigen: aber es funktioniert, man reist ja nicht zum ersten Mal...

So bringt uns der Zug allmählich dem Frühling entgegen: das erste Birkengrün, Gartenarbeit in allen Dörfern, der erste Storch auf der Wiese...
In Weißrussland und erst recht in Polen ist der Frühling schon richtig angekommen; denn die Wälder sind komplett grün und die Felder rapsgelb geworden.

Die Grenzkontrollen werden entspannter und in Berlin befinden wir plötzlich in Mitteleuropa.
Wir lassen es uns nicht nehmen, mit dem ICE und dem Regionalzug über Hamburg bis nach Bad Schwartau quasi vor die Tür zu fahren.

Wir sind sehr froh, dass unsere individuelle Planung sehr professionell organisiert wurde; denn die Überraschungen während einer so weiten Reise sind einem sicher.
Man ist gut beraten, den Anspruch an mitteleuropäische Gepflogenheiten und Umgangsformen sehr rasch hinter sich zu lassen.

Diese Reise mit meinem Sohn, der zuvor drei Jahre in Shanghai arbeitete, war ein großartiges gemeinsames Abenteuer.

Wir hatten Zeit für Begegnungen mit Menschen, die sich sehr um uns bemühten, für Gespräche und für Stille, für das intensive Erleben der unfassbaren Gegensätze und Widersprüche in Shanghai, Peking und Moskau und für die Erfahrung mit der Weite und Entfernung in einer sehr fremden Welt.

Rolf Berndt


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Wir bedanken uns bei Ihnen für die Einsendung Ihres Reiseberichts!